Die Geschichte der Schlossbergspiele in Rattenberg

Rattenberg, im Juli 1951

von Dr. Volkmar Wieser, Stadtarzt, in Auszügen

Im Herbst des Jahres 1949, bald nach der Konstituierung des Rattenberger Verkehrs-Vereines, wurde in einer Ausschusssitzung desselben die feierliche Begehung des 300sten Todestages des Kanzlers Wilhelm Bienner angeregt, der in Rattenberg am 17. Juli 1651 durch Enthauptung getötet wurde.
Immer wieder im Verlaufe der nachfolgenden Monate wurde auf diesen Plan und seine Wichtigkeit hingewiesen. Besonders lag dieser Plan dem Obmann des Verkehrsvereines, Herrn Klaus Huber, und dem Schriftführer am Herzen. Ersterem mehr aus wirtschaftlich-finanziellen Gründen, versprach er sich davon doch eine wesentliche  Verbesserung des Rufes Rattenbergs als Fremdenort; letzerem indes auch kulturell-traditionellen Gründen; es bestand nämlich damals schon die Absicht, das Drama des Tiroler Dichters Dr. Josef Wenter aufführen zu lassen; Dr. Wenter aber, ein persönlicher Bekannter des Schriftführers, ist im Jahre 1947 in Rattenberg verstorben.
Nach zahlreichen Rückschlägen, Schwierigkeiten verschiedenster Art, kleinlichen Bedenken und persönlichen Intrigen ist es dem Herrn Huber endlich im Frühjahr 1951 gelungen, die Gemeinde ernstlich für den Plan einer großangelegten 300 Jahr-Feier zu interessieren. Es wurde ein Exekutionsausschuss gebildet, dem die Herren Schmutz Anton, Bürgermeister Huber Klaus, Obmann des Verkehrsvereines Kiener Johann, Stadtrat Gupf Franz, Gemeinderat Rendl Alois, Gemeinderat Ascher Johann jun., Gemeinderat Thurner Johann jun., Kapellmeister Thurner Erich, Obmann der Musikkapelle Laimgruber Josef, Kommandant der Feuerwehr Staudinger Ferdinand, Obmann des Sportvereines Stops Ferdinand, Ing., Fachberater angehörten.

Umständlichste Vorbereitungen waren vonnöten, zunächst rein administratorischer Art.
Herr Nationalrat Fink, der Obmann der Sektion Fremdenverkehr, wurde als erster für den Plan gewonnen. Er stellte dem Bürgermeister Schmutz auch gleich 5000,-- S (fünftausend Schilling) zur Verfügung. Dies war ein nicht zu unterschätzendes Plus, da nun jedem der Miesmacher gleich gesagt werden konnte, es sei ein Grundstock noch vor Beginn der ersten tatsächlichen Arbeit vorhanden. Diese 5000,-- Schilling waren die Krücke, an denen das kranke und schwache Kind "Rattenberger Schlossspiele" gehen und stehen lernte. Etwa Mitte Mai begann der Bau der Freilichtbühne. Es waren viele Kubikmeter Fels, Gestein und Erde zu bewegen, Gestrüpp und auch einzelne Bäume mussten dem Werke geopfert werden. Es sei jedoch lobend hervorgehoben, dass an der natürlichen Formation des Schlossberges, auch an seiner Flora nur verändert wurde, was unumgänglich verändert werden musste. Der Baumbestand wurde weitgehend geschont, es wurden häufig nur die unteren Äste der Bäume entfernt, ein Vorgehen, das den Druck aller Naturliebenden erfordert. (Es hätten wesentlich barbarischer gebaut werden können) Es erforderte 500 in die Erde gerammte Pfosten, eine Arbeit, die in dem felsigen, steinigen Boden keine Kleinigkeit war. Bretter, Balken, jeder kleinste Nagel musste den steilen Weg hinaufgetragen werden, alles mit Menschenkraft, es stand ja nur für die ganz schweren Lasten zeitweise ein Traktor zur Verfügung. Kein Kran, kein Bagger oder Förderband, konnte verwendet werden, denn mit den beschränkten finanziellen Mitteln musste sparsam umgegangen werden. Die Leitung des Baues lag in den Händen des Zimmermeisters Gertl aus Kramsach; Michael Duftner aus Radfeld, genannt "Hachler Michl", trägt den Hauptverdienst an der zeitgerechten Fertigstellung der Anlage. Hier muss des unverwüstlichen Meisters Alois Rendl gedacht werden, des braven, arbeitsbesessenen Gemeinderats-Mitgliedes, der all seine Freizeit und auch sehr viel von der Zeit opferte, die eigentlich seiner Berufsarbeit gehört hätte. Er ist ein leuchtendes Beispiel aufopferungsbereiter Heimatliebe, die nicht nach Ehre und Gewinn, sondern nach Pflichterfüllung und Arbeitsleistung fragt.

Eine neue Schwierigkeit ergab sich, als sich herausstellte, dass das Kulissenmaterial nicht von Innsbruck aus beigestellt werden konnte. Die großflächigen Kulissen hätten nämlich nicht durch die Torbögen des Schlossberges gebracht werden können. Aus demselben Grunde konnten die Bauten aber auch nicht in der Stadt angefertigt und hinaufgebracht werden. Wiederum waren es Rendl und Duftner, die auch diese  Arbeiten, sozusagen in letzter Minute, zu Ende brachten. Was die Männer des Festausschusses in diesen letzten Tagen vor dem Feste leisteten wird wohl kaum je gerühmt werden können; es sei festgestellt, dass alle ihre Bemühungen letzten Endes dann aber zum großen Erfolg führten.

Eine Festschrift erschien, ausgestattet mit zahlreichen herrlichen Bildern, einem großen Aufsatz von Karl Poulin über Dr. Wilhelm Bienner, einem Vorwort des Landeshauptmannes Alois Grauß, des Bürgermeisters und des Obmannes des Verkehrsvereines.
Es ist höchst bedauerlich, dass diese Festschrift in viel zu geringem Ausmaße zum Verkauf gelangte. Die Zuschauerplätze des Amphitheaters am Schlossberg waren mit Menschenmassen gefüllt, es mögen an 2500 Leute gewesen sein, die mit Spannung und Freude sich dem Genusse des Kunstwerkes Josef Wenters hingaben. Es wurde eine grandiose Aufführung des "Kanzlers von  Tirol". Dr. Kraßnitzer in der Titelrolle, Frau Margarethe Busch als Erzherzogin Claudia, Sußenguth als Pater Gravenegger, Frl. Martinstetter als Elisabeth von Hohenstainer, Pirmoser als Graf Wolkenstein, es war ein erlesener Kunstgenuss in des Wortes wahrster Bedeutung. Der Beifall zwischen den Szenen und am Ende der Aufführung galt in gleicher Weise der Leistung der Schauspieler wie dem wahrhaft großartigen  Szenenbild, das in solcher Verbundenheit von majestätischer Natur mit künstlerisch gesehener Menschenschöpfung dem Dichter vorgeschwebt haben mochte, der sich bis zu seinem Tode vergeblich eine Freilicht-Aufführung seines Dramas am Schlossberg in Rattenberg gewünscht hatte. Allein für diesen Abend gebührt denen, die aktiv zu seinem Gelingen beigetragen haben, der herzliche Dank aller, die ihn erleben durften.

Bis spät in die Nacht hinein vereinigte frohe Geselligkeit Einwohner und Gäste in den Wirtschaften Rattenbergs. Am 21. und 22. Juli wurden die Aufführungen wiederholt. Der Besuch war am 21. recht gut, beide Seitenreihen waren beinahe voll, die Mittelreihe allerdings nur im vorderen Abschnitt besetzt. Was sich jedoch am 22. abends tat, hat Rattenberg wohl noch nicht gesehen. Es mögen mehr als 3000 Besucher gewesen sein, die, alle Sitzplätze belegend, nach links und rechts sowie in den Mittelgängen stehend bis weit in die Felsen hinauf jedes kleinste Plätzchen eingenommen hatten. Es waren zusätzlich zu den vom letzten Sonntag verkauften Plätzen, deren Vorstellung ja wegen des schlechten Wetters ausgefallen war,  über 500 Plätze verkauft worden. Die Gesamteinnahmen aller Vorführungen der Schlossspiele abzüglich der gesamten Feier wurden von einem Komiteemitglied auf über 80.000 Schilling geschätzt. Eine genaue Abrechnung wurde nicht veröffentlicht.
Auf alle Fälle waren die Schlossspiele ein voller Erfolg, für den alle Verantwortlichen den Dank verdienen. Auch alle jene, die an sichtbarer Stelle dafür Leistungen erbrachten, aber auch die vielen unbekannten und kleinen Leute, die mit Hand anlegten, das große Werk zum Erfolge zu führen.
Dies war der erste Ansatz zur Gründung des Vereines. Das "Komitee der Schlossspiele" wurde neu konstituiert. Es setzte sich aus den Herrn Schmutz (Bgm.), Gupf, Rendl, Maier Heinrich und Ascher, und Kiener und Wallner zusammen. Als beratende Organe wurden die Vertreter der Vereine (Feuerwehr, Verkehrsverein, Sportverein, Musikkapelle) zugezogen. Unstimmigkeiten blieben nicht aus, einzelne Vertreter wurden ausgewechselt usw. Kurzum, das Werk ist im Entstehen, Fehler daher unvermeidlich. Aber bei gutem Willen aller Beteiligten, bei Verständnis für die Wichtigkeit des endgültig zu erreichenden wird sich alles in seine Gleise fügen.